Honoré de Balzac (1799 - 1850) hatte mit seinem Lebensprojekt „Die menschliche Komödie“ Gewaltiges vor. Das Gesamtwerk sollte 137 Romane, Essays und, Erzählungen umfassen. Es wurden 91. Das Werk ist eine literarisch aufbereitete Analyse, ein „Gemälde“, der damaligen französischen Gesellschaft. Geschildert werden Szenen besonders „aus dem Privatleben, aus dem Provinzleben, dem Pariser Leben“, verwoben mit all den intermittierenden komplexen psychologischen, sozialen, politischen und philosophischen Bedingtheiten. Balzac ist ein Meister der Analyse des facettenreichen und besonders auch sittlichen Verhaltens von Menschen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus. Gezielt standen reale öffentliche Persönlichkeiten für die Romanfiguren Pate. „Die Unermesslichkeit eines Plans, der zugleich die Geschichte und die Kritik der Gesellschaft, die Analyse ihrer Übel und die Erörterung ihrer Prinzipien umfasst, berechtigt mich, so scheint es mir, meinem Werk den Titel zu geben, unter dem es heute erscheint: "Die menschliche Komödie". Ist es ehrgeizig, ist es nur gerecht? Darüber wird, wenn das Werk beendet ist, das Publikum entscheiden.“ Dies schrieb Balzac 1842 in der zum Verständnis des Werks informativen Vorrede. Eine weitere aufschlussreiche Betrachtung von Balzacs Schaffen findet sich in Stefan Zweigs Nachwort zu dem Roman „Das Mädchen mit den Goldaugen“. Nebenbei: Balzacs Roman „Verlorene Illusionen“ wird gegenwärtig verfilmt.
Immer ist in Balzacs Romanen ein unausgesprochenes Hineinfließen von Eingebungen unbekannter Herkunft bei den Protagonisten spürbar. Seine bürgerlichen Romane sind „tragischer als eure Trauerspiele“, so Balzac an Romantiker. Helena P. Blavatsky bezeichnet Balzac als „okkulten Autor“. Balzacs analytisch-spiritueller Roman „Seraphita“ ist nicht Teil der „Menschlichen Komödie“. Es wird berichtet, dass er den Roman seiner an Mystik interessierten Frau widmete. Es ist ein Roman mit einem imposanten „philosophisch-spirituell-religiös“ zu nennenden Gedankenreichtum. „Seraphita“ berichtet vom Wachsen der Beziehung zweier Menschen zueinander. Anfangs sind sie nur bekannt miteinander und zeigen ein eher distanziertes gegenseitiges Interesse. Erst über ihre jeweils dialogische Begegnung mit einem „Seraph“ oder Engel wird in ihnen das Gefühl einer sehnsuchtsvollen Liebe erfahren. In einer gewissen Melancholie erkennen sie die Unmöglichkeit, eine Verbindung mit dem „Seraph“ zu verwirklichen. Das Erkennen des göttlichen Ursprungs von Liebe, gepaart mit Intelligenz, die ihnen der „Seraph“ verdeutlicht, führt sie zusammen. Nicht Enttäuschung oder Klage, sondern ein Gestärktsein führt sie zu einer Sinn-getragenen Vereinigung mit dem Ziel, sich gemeinsam zu mühen, das Göttliche im Irdischen zu erfahren und zum Wohl der Menschen zu handeln: „Minna“ - die Liebende und „Wilfrid“ - der Frieden suchende Verstandesmensch. Balzac entfaltet eine wundersame und wundervolle Dramaturgie, in welcher der nicht auf ein Genus festgelegte „Seraph“ für die Begegnung mit Weiblichem, also Minna, der „Seraphitus“ wird und für die Begegnung mit Männlichem, also Wilfrid, die „Seraphita“ wird.
Große Abschnitte in dem Roman „Seraphita“ betreffen Überlegungen zum Glauben an eine Göttlichkeit und Darlegungen der Gedanken aus den Schriften von Emanuel Swedenborg - worauf aber in dem Vortrag nicht eingegangen wird.